Ausführbare Offenbarung für KI-Erfindungen

In der Entscheidung BPatG 19 W (pat) 32/20 bestätigte das Bundespatentgericht einen Zurückweisungsbeschluss wegen fehlender Ausführbarkeit der Erfindung. Nach den Entscheidungsgründen (insbesondere Abschnitt II.5.2(3)(iii)) erkennt der Senat, dass die Struktur des KI-Modells nicht hinreichend offenbart ist. Auch die Angaben zu den Trainingsdaten hält der Senat für nicht ausreichend, insbesondere im Hinblick auf die Verwendung der Trainingsdaten zum Trainieren einer ANN-Struktur dahingehend, dass sie die gewünschte Ausgangsgröße (im konkreten Fall eine den Verschleiß eines technischen Systems betreffende Ausgangsgröße) liefert.

Zum Hintergrund: Es ist selten, dass eine Anmeldung oder ein Patent vom Deutschen Patent- und Markenamt oder vom Bundespatentgericht als unzureichend offenbart angesehen wird. Dies gilt insbesondere für die technischen Gebiete, die üblicherweise als „vorhersagbare Technikfelder“ gelten (Physik, Mechanik usw.). Die Entscheidung spiegelt eine strenge Praxis in Bezug auf KI-basierte Erfindungen wider, die sich auch in Entscheidungen der EPA-Beschwerdekammern zeigt.

Amtsseitig scheint die Tendenz zu bestehen, KI-Anmeldungen zurückzuweisen oder KI-Patente zu widerrufen, die die Anwendung von KI in neuen Feldern betrifft, sofern die Verwendung der KI das tragende Unterscheidungsmerkmal ist. Die amtsseitige Argumentation lautet häufig, dass der Einsatz von KI ein allgemeiner Trend sei und der Fachmann den Einsatz von KI auf einem neuartigen Gebiet ohne erfinderische Tätigkeit in Betracht ziehen würde. Der Aufwand für das Training eines KI-Modells, um es für die neuartige Verwendung geeignet zu machen, scheint in dieser Argumentationslinie nur wenig Berücksichtigung zu finden. Die strengen Kriterien, die die Amtspraxis für die Offenbarung einer Anmeldung/eines Patents aufstellt, und das Argument der mangelnden erfinderischen Tätigkeit bei KI-Erfindungen in neuartigen Anwendungsbereichen scheinen nicht vollständig konsistent zu sein. Es bleibt zu hoffen, dass EPA, DPMA und BPatG in Zukunft zu einer ausgewogenen Sichtweise finden.

Bereits aktiv in Verfahren involvierte EPG-Kanzleien

Letzte Woche habe ich an einem sehr informativen Seminar über EPG-Verfahren teilgenommen, das von einer großen gemischten Rechtsanwalts- und Patentanwaltskanzlei veranstaltet wurde. Die Vortragenden haben sehr betont, dass sie nicht nur eingetragene Vertreter sind (von denen es viele gibt), sondern auch aktive Vertreter in dem Sinne, dass sie bereits aktiv in Verfahren vor dem EPG tätig sind. Bis heute sind nur wenige registrierte EPG-Vertreter bereits in laufenden EPG-Verfahren tätig.

Aus Interesse habe ich die Stand heute (10. Juli 2023) im Register einsehbaren Verfahren durchgesehen. Dabei habe ich mich auf die im Register einsehbaren Hautpsacheverfahren in Verletzungssachen geschränkt (16 Verfahren, die ich am 10. Juli 2023 einsehen konnte). Nachfolgend ist das Resultat meiner Zählung von bereits aktiven Kanzleien. (Bitte melden Sie sich, falls ich versehentlich Ihre Kanzlei übersehen habe!) Die Liste ist nach der Anzahl der Hauptsacheverfahren sortiert. Kanzleien, die die gleiche Anzahl von Hauptsacheverfahren anhängig gemacht haben, sind dann alphabetisch gelistet.

Bardehle: 4 Hauptsacheverfahren

Arnold Ruess, Bird & Bird, Bonelli Erede, Clifford Chance, eip, Finnegan, Gleiss Große, Grünecker, Gulliksson, Roschier, Sandart, Wildanger: je 1 Hauptsacheverfahren

Anzahl der UPC-Verfahren

Das UPC hat vor mehr als zwei Wochen seine Arbeit aufgenommen. Wenn ich das Register der öffentlich einsehbaren Verfahren des UPC im CMS verwende, werden mir derzeit (16.06.2023) 12 Verfahren angezeigt (drei Nichtigkeitsklagen und neun Verletzungverfahren). Zu den neun Verletzungsverfahren gehören drei in München, zwei in Düsseldorf und zwei in Hamburg. Dies deutet darauf hin, dass entweder das elektronische CMS-Register noch nicht voll funktionsfähig ist oder die Fallzahlen viel niedriger sind als die 100 Fälle, die laut dem (optimistischen) ipwatchdog-Blog vom 31.5.2023 mit dem Titel „Countdown to the Unified Patent Court, Part V, Five Predictions for the UPC on Day One“ erwartet wurden.

Isolierte Nichtigkeitsklage am UPC

Beim Testen einiger Funktionen der CMS-Suchwerkzeuge, die vom UPC CMS bereitgestellt werden, habe ich soeben bemerkt, dass am 2. Juni 2023, also am zweiten Tag des Gerichts, eine isolierte Nichtigkeitsklage (d. h. eine Nichtigkeitsklage, die keine Nichtigkeitsgegenklage in einer Verletzungsklage ist) bei der Zentralkammer des UPC in München eingereicht wurde. Das Patent ist ein Bündelpatent (d. h. keine einheitliche Wirkung), da es vor dem 1. Juni 2023 erteilt wurde.

Der Streitwert beträgt 100 Mio. EUR. Ein Rechtsstreit zwischen denselben Parteien über ein US-Patentfamilienmitglied des nunmehr vor dem UPC angegriffenen Patents wurde kürzlich vom Obersten Gerichtshof der USA in der Rechtssache Amgen vs. Sanofi entschieden. Der US-Fall betraf die interessante Frage der ausführbaren Offenbarung über den gesamten Anspruchsbereich, d.h. die Frage, wie breit unabhängige Ansprüche im Vergleich zu den spezifischen Ausführungsbeispielen abgefasst werden dürfen.

Dies ist ein würdiger Anfang für das UPC-System, das offensichtlich interessante Fälle anzieht.

Bedauerlich ist, dass trotz der Bemühungen, ein modernes, vollelektronisches System einzurichten, die Nichtigkeitsklage gemäß R. 4.2 UPC (UPC CMS funktioniert nicht korrekt) offenbar in Papierform eingereicht wurde.

Technisch qualifizierte Richter am UPC

Vor einigen Tagen hat einer der technisch qualifizierten Richter (ein Kollege aus Frankreich, der in der Gemeinschaft hoch angesehen und sehr bekannt ist) angekündigt, dass er sein Amt als technisch qualifizierter Richter (TQJ) nicht antreten wird. Seiner Ansicht nach ist im Hinblick auf den UPC-Verhaltenskodex die Erfüllung der Pflichten eines technisch qualifizierten Richters mit der Arbeit eines Anwalts für seine Mandanten schwer in Einklang zu bringen.

Dieser Rücktritt ist zwar ein erheblicher Verlust für das UPC, aber diese Art von ethischem Verhalten und Reflexion sind zu begrüßen. Dieses Verhalten steht auch in angenehmem Kontrast zur häufig geäußerten Einstellung der Art: „das System der nebenamtlichen Richter funktioniert beim Schweizer Bundespatentgericht, also muss es auch beim UPC funktionieren“. (Nur um das klarzustellen: Natürlich kann ein solches System funktionieren, aber die Bedenken hinsichtlich möglicher Interessenkonflikte sollten ernstgenommen werden). Es wird interessant sein zu sehen, ob dieser Rücktritt ein Einzelfall bleibt oder ob in den nächsten Wochen oder Monaten weitere TQJs die Situation neu überdenken werden.

UPC Case Management System (CMS)

Gegenwärtig (Mitte Mai 2023) scheint das UPC CMS Schwierigkeiten zu haben, die Anzahl der eingereichten Opt-out-Anträge zu bewältigen. Dies scheint kein guter Start für das neue System zu sein:

Erstens scheint die Zahl der Opt-out-Anträge zwar beträchtlich zu sein (und mit dem Herannahen des Monats Juni 2023 noch zuzunehmen), aber diese Art von Anträgen ist normalerweise nicht mit der Übertragung großer Datenmengen verbunden. Dies wirft die Frage auf, wie gut das CMS in der Lage ist, die möglicherweise gleichzeitige Einreichung mehrerer umfangreicher Schriftsätze im UPC-Feldbetrieb ab Juni 2023 zu bewältigen.

Zweitens scheint die Zahl der Opt-out-Anträge zu verdeutlichen, dass es viele Anmelder und Patentinhaber gibt, die – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – noch nicht von dem neuen System überzeugt sind.

Positiv ist, dass sich die Anmelder und Patentinhaber offenbar der Möglichkeiten bewusst sind, die das neue System bietet, und dass sie proaktiv die Schritte unternehmen, die sie für ihr Patentportfolio für angemessen erachten.

Patent mit einheitlicher Wirkung

EPR search form

Wie mir gerade bewusst wurde, hat das EPA das Rechercheformular für Suchen im Europäischen Patentregister bereits angepasst, um die Möglichkeit der Antragsstellung auf einheitliche Wirkung zu berücksichtigen. Das aktualisierte Suchformular bietet Suchfelder für die Eingabe des Antragsdatums und des Registrierungsdatums für die einheitliche Wirkung.

Unterlassungsanspruch

§ 139 des Deutschen Patentgesetzes (PatG) regelt die wichtigsten Rechtsfolgen einer Patentverletzung geregelt, darunter auch Unterlassungsansprüche. Bei der Revision des PatG im Jahr 2021 wurde § 139 neu gefasst. Geänderter § 139(1) S. 3, 4 PatG macht nun deutlich, dass es Umstände geben kann, unter denen der Patentinhaber keinen Anspruch auf Unterlassung der patentverletzenden Handlung hat. Es herrschte (und herrscht) eine gewisse Unsicherheit darüber, inwieweit diese Änderung im Vergleich zur vorherigen Fassung, die diese Ausnahmen nicht enthielt, eine tatsächliche Praxisänderung bedeutet.

Eine aktuelle Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf gibt nun Hinweise zu § 139 PatG in der Fassung von 2021. In der Entscheidung LG Düsseldorf vom 7. Juli 2022, 4c O 18/21 – Sofosbuvir, hat das Landgericht Düsseldorf entschieden, dass § 139 Abs. 1 S. 3 nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen und nur subsidiär zu einem Zwangslizenzverfahren den Unterlassungsanspruch ausschließt. Aus dieser Entscheidung geht hervor, dass ein Unterlassungsanspruch regelmäßig in den Fällen auszuurteilen ist, in denen der Verletzer kein Zwangslizenzverfahren eingeleitet hat.

EPA-Beschwerdegebühr

Eine relativ neue Entscheidung der EPA-Beschwerdekammern T 84/19 befasst sich mit einer interessanten Frage im Zusammenhang mit der Beschwerdegebühr: Nach der Entscheidung hat ein Einsprechender, der eine natürliche Person ist oder anderweitig in den Genuss der ermäßigten Beschwerdegebühr kommt, nicht die volle Beschwerdegebühr zu zahlen, selbst wenn es einen geheimen Sponsor gibt (ähnlich der „tatsächlich interessierten Partei“ in Post-Grant-Verfahren in manchen Jurisdiktionen). Dies gilt, solange der Einspruch keine Umgehung der Regelung über die Berechtigung zur Zahlung der ermäßigten Beschwerdegebühr darstellt.

Als Hintergrundinformation: Nach den Entscheidungen G 3/97, G 4/97 ist es nicht erforderlich, dass der „wirkliche Beteiligte“ im EPA-Einspruchsverfahren offengelegt wird. So kann es vorkommen, dass ein Einsprechender als Beteiligter am EPA-Verfahren ein anderer ist als die Person, die am Widerruf oder der Änderung des Patents ein eigenes Interesse hat.

EUIPO-Geschmacksmustergebühren & Priorität

In die neuen Richtlinien (Fassung 2023) hat das EUIPO einen Absatz aufgenommen, der (nach Ansicht des EUIPO) „klarstellt“, „dass das Amt mit der Prüfung der Anmeldung erst dann beginnt und keinen Anmeldetag zuerkennt, bis die Gebühr entrichtet wurde“. Zwar muss das EUIPO auch ohne Gebührenzahlung letztlich entscheiden, ob ein Anmeldetag auch dann zuerkannt werden kann. Jedoch möchte das EUIPO die Nutzer darauf hinweisen, dass es Monate dauern kann, bis ein Anmeldetag zuerkannt wird. Nichts hindert das EUIPO daran, einen Anmeldetag erst nach Ablauf der Prioritätsfrist zuzuerkennen (wie im Webinar des EUIPO zur Ausgabe der Richtlinien 2023 ab 1:52:26 Uhr ausdrücklich erklärt wird).

Die EU-Geschmacksmusterverordnung sieht zwar vor, dass die Gebührenzahlung keine Voraussetzung für die Zuerkennung eines Anmeldetags ist (im Gegensatz zur EU-Markenverordnung), aber die Praxis des EUIPO bedeutet, dass nach der Praxis des EUIPO die Gebührenzahlung die einzige Möglichkeit ist, um sicherzustellen, dass eine EU-Geschmacksmusteranmeldung als Grundlage für die Inanspruchnahme einer Priorität dienen kann.

Für eine deutsche nationale Anmeldung ist es nicht erforderlich, die Gebühren für eine Geschmacksmusteranmeldung zu entrichten, damit ein Anmeldetag zuerkannt wird. Anmelder, die sich ein Prioritätsdatum sichern möchten, aber noch nicht wissen, ob sie das Geschmacksmuster eintragen lassen wollen, könnten daher eine Anmeldung z. B. beim Deutschen Patent- und Markenamt in Erwägung ziehen. Leider kann dieser Ansatz Nachteile für nicht in DE ansässige Anmelder haben, die die Prioritätsanmeldung als Grundlage für eine internationale Eintragung nach dem Haager Geschmacksmusterabkommen nutzen möchten.