Anspruchsauslegung in EPA-Verfahren

Die Rechtsprechung der Beschwerdekammern zur Anspruchsauslegung ist seit einigen Jahren uneinheitlich: Einige Kammern haben den Standpunkt vertreten, dass die Ansprüche bei der Beurteilung der Patentierbarkeit grundsätzlich im Lichte der Beschreibung und der Zeichnungen auszulegen sind. Andere Kammern haben hingegen den Standpunkt vertreten, dass in Verfahren vor dem EPA-Verfahren die Beschreibung und die Zeichnungen nur in bestimmten Fällen für die Anspruchsauslegung zu berücksichtigen sind, nämlich wenn der Anspruchswortlaut unklar oder mehrdeutig ist.

Die aktuelle Beschwerdekammerentscheidung T 0439/22 hat diese Angelegenheit der Großen Beschwerdekammer vorgelegt. Die Vorlagefragen lauten wie folgt:

1. Ist Artikel 69 (1), 2.Satz EPÜ und Artikel 1 des Protokolls über die Auslegung von Artikel 69 EPÜ bei der Auslegung von Patentansprüchen anzuwenden, wenn die Patentierbarkeit einer Erfindung gemäß Artikel 52 bis 57 EPÜ beurteilt wird?

2. Dürfen die Beschreibung und die Figuren bei der Auslegung der Ansprüche herangezogen werden, um die Patentierbarkeit zu beurteilen, und wenn ja, darf dies generell geschehen oder nur dann, wenn der Fachmann einen Anspruch für unklar oder mehrdeutig hält, wenn er ihn isoliert liest?

3. Kann eine Definition oder eine ähnliche Information zu einem in den Ansprüchen verwendeten Begriff, die ausdrücklich in der Beschreibung enthalten ist, bei der Auslegung der Ansprüche zur Beurteilung der Patentierbarkeit außer Acht gelassen werden, und wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Diese Fragen betreffen auch viele anhängige Verfahren.

Der Präsident des EPA hat entschieden, dass die Verfahren vor den Prüfungs- und Einspruchsabteilungen fortgesetzt werden sollen(Mitteilung des Europäischen Patentamts vom 1. Juli 2024). Dies soll im Interesse des reibungslosen Funktionierens des EPA und der Rechtssicherheit geschehen.

BGH „Variationsnut“ – Anspruchsauslegung

In seiner Entscheidung X ZR 12/22 vom 12. März 2024 – Variationsnut entschied der deutsche Bundesgerichtshof, dass ein „Begriff, der in zwei Merkmalen eines Patentanspruchs verwendet wird, … unterschiedlich auszulegen sein [kann], wenn sich dies aus der Funktion der beiden Merkmale ergibt.“

Diese Entscheidung veranschaulicht die Bedeutung technischer Überlegungen im deutschen Patentgerichtssystem: Die Gerichte bemühen sich, den Sinn der beanspruchten Erfindung in technisch sinnvoller Weise zu erfassen, selbst wenn der Anspruchswortlaut nicht perfekt sein mag.

EPG-Verfahren mit Fußballbezug

Im Hinblick auf die im Juni beginnende Fußball-Europameisterschaft ist es interessant, dass vor kurzem ein Antrag auf einstweilige Maßnahmen gemäß R. 206 UPCA auf der Grundlage des Patents 1 944 067 eingereicht wurde. Das Patent bezieht sich auf eine Technik zum Erkennen einer Abseitssituation bei einem Fußballspiel.

Die Union des Associations Européennes de Football (UEFA) ist eine der Antragsgegnerinnen.

Das Verfahren ist unter dem offiziellen Aktenzeichen ACT_16267/2024 anhängig.

Patentverletzungsklage vor UPC-Zentralkammer

Gegen die Microsoft Corporation wurde eine Verletzungsklage bei der Zentralkammer des UPC eingereicht. Das Verfahren ist unter dem Aktenzeichen ACT_18406/2024 anhängig.

Dies scheint die erste Patentverletzungsklage zu sein, die bei der Zentralkammer eingereicht wurde.

Zum Hintergrund: Art. 33(1) EPGÜ stellt zwei mögliche Gerichtsstände für die Erhebung einer Verletzungsklage gegen einen Beklagten bereit, der seine Hauptniederlassung außerhalb des Hoheitsgebiets der Vertragsmitgliedstaaten hat: Die Verletzungsklage gegen einen derartigen Beklagten kann nach Wahl des Klägers erhoben werden vor (i) der Lokalkammer oder der Regionalkammer eines Staates, in dem die geltend gemachte angebliche Verletzung stattgefunden hat, oder (ii) der Zentralkammer. Somit definiert Art. 33(1) EPGÜ einen alternativen Gerichtsstand (die Zentralkammer) für Patentverletzungsverfahren gegen Beklagte, für die es keinen Gerichtsstand gemäß Art. 33(1)(b) EPGÜ gibt.

IP zur Sicherung von Finanzierung

Die EPA-Veranstaltung „Bringing cleantech innovation to market“, deren Aufzeichnung das EPA in Kürze zur Verfügung stellen wird, befasst sich unter anderem mit der neuen Wirtschaftsstudie des EPA, die die Herausforderungen beleuchtet, mit denen sich Unternehmen konfrontiert sehen, die saubere Technologien auf den Markt bringen wollen. Die Studie wurde vom Europäischen Patentamt (EPA) gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) erstellt.

Eine wichtige Erkenntnis für mich war, dass die Studie erneut bestätigt, wie wichtig es für (junge) Unternehmen ist, über geistiges Eigentum zu verfügen, um sich Finanzierung (auch, aber nicht nur, von VC) zu sichern.

Nehmen Sie gerne Kontakt auf, wenn Sie gerade dabei sind, Ihr eigenes Unternehmen zu gründen oder dies bereits getan haben und mehr über die verschiedenen Rechte des geistigen Eigentums sowie über bestehende Initiativen zur finanziellen Unterstützung von Unternehmen bei der Erlangung von geistigem Eigentum erfahren möchten.

Recherchebericht für eine als zurückgenommen geltende Patentanmeldung

In einer kürzlich ergangenen Entscheidung 1 W(pat) 11/23 hat das Bundespatentgericht entschieden, dass das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA) für eine Patentanmeldung auch nach Eintritt der Rücknahmefiktion einen Recherchenbericht erstellen muss, sofern der Anmelder ein berechtigtes Interesse am Rechercheergebnis darlegt. In der Entscheidung wird das DPMAangewiesen, den Recherchebericht vor Ablauf der Prioritätsfrist zu erstellen.

Diese Entscheidung spiegelt zum einen die Bedeutung der amtlichen Rechercheergebnisse für Anmelder wider und unterstreicht zum anderen, wie wichtig es ist, das amtlichen Recherchenergebnisse rechtzeitig verfügbar sind.

Zum Hintergrund: Eine deutsche nationale Patentanmeldung gilt (wie im entschiedenen Fall) u.a. dann als zurückgenommen, wenn sie als Grundlage für einen Prioritätsanspruch für (a) eine weitere nationale deutsche Patentanmeldung oder (b) eine PCT-Anmeldung, die über das DPMA als Anmeldeamt eingereicht wird, ohne dass die Deutschland als Bestimmungsstaat ausgenommen wird. Dennoch kann der Anmelder ein berechtigtes Interesse an einem rechtzeitigen Recherchebericht haben (und hat dieses häufig auch), selbst in Fällen, in denen bereits eine prioritätsbegünstigte Nachanmeldung eingereicht wurde. So kann es in vielen Fällen für den Anmelder oder die Anmelderin ratsam sein, die Ansprüche und/oder die Gesamtoffenbarung einer (weiteren) Nachanmeldung unter Berücksichtigung der Rechercheergebnisse abzufassen.

EPA Beschleunigung von Einspruchsverfahren

Das EPA wird das Einspruchsverfahren beschleunigen, wenn eine Verletzungs- oder Nichtigkeitsklage vor dem EPG anhängig gemacht wurde. Siehe die EPA News vom 22.02.2024 und EPA ABl. 2023, A99. Das EPA ist der Ansicht, dass „ein schneller Abschluss des parallelen Einspruchsverfahrens vor dem EPA Rechtssicherheit und Verfahrensökonomie sowie eine hohe Qualität und Einheitlichkeit des europäischen Patentsystems fördert.“

Ich bin gespannt, ob dadurch abweichende Ansichten zwischen dem EPA und dem EPG in parallelen Einspruchs-/Widerrufsverfahren in Zukunft tatsächlich vermieden werden können.

Änderungen der EPA-Verwaltungsgebühren ab 01. April 2024

Zum 01. April 2024 treten verschiedene Änderungen an der Gebührenstruktur des EPA in Kraft. Siehe die News-Website des EPA. Sowohl die ermäßigten Gebühren für KMU als auch die Erhöhung einiger Jahresgebühren wurden breit diskutiert; die Besucher meiner Website werden darüber z. B. auf Juve Patents, dem Kluwer-Patentblog und in verschiedenen LinkedIn-Beiträgen von geschätzten Kollegen aus der Patentbranche gelesen haben.

Ein Aspekt, der bisher offenbar weniger Beachtung gefunden hat, ist, dass die jüngsten Entscheidungen des EPA auch die Verwaltungsgebühren betreffen (die im Vergleich zu den Gebühren für Anmeldung, Recherche, Prüfung und Verlängerung weniger in der Diskussion stehen). Die Gebühr für die Eintragung eines Rechtsübergangs wird auf Null reduziert, sofern der Antrag über MyEPO eingereicht wird. Siehe EPA ABl. 2024, A5 – Gebührencode 022, Punkt 1.1.

Man könnte meinen, dass die derzeitige Gebühr von 120 EUR keine große Sache ist, aber das EPA erhebt diese Gebühr pro Anmeldung oder pro Patent, selbst wenn in allen Anmeldungen/Patenten dieselben Nachweise für die Übertragung eingereicht werden. Im Falle einer Fusion oder Abspaltung von Unternehmen kann die Eintragung des Übergangs von Anmeldungen und Patenten im Rahmen der derzeit noch geltenden Verwaltungsgebührenregelung oft zu Verwaltungsgebühren von insgesamt mehreren hunderttausend Euro führen.

Es kommt selten vor, dass ich die Gebührenstruktur des EPA und die ständig steigenden Gebührenbeträge begrüße. Gelegentlich frage ich mich sogar, ob das EPA dabei ist, sich selbst aus dem Markt zu drängen (insbesondere im Vergleich z. B. zu den Gebühren des DPMAs). Die Senkung der Verwaltungsgebühr für die Eintragung eines Rechtsübergangs ist zwar dadurch motiviert, Anreize für die Nutzung von MyEPO zu schaffen, ist aber meines Erachtens ein großer Schritt. Dies gilt inbesondere, wenn man bedenkt, wie viel Arbeit mit der Überprüfung der Berechtigung der Unterzeichner einer Rechtsübergangserklärung verbunden sein kann (z. B. wenn eine Kette von Vollmachten überprüft werden muss, um die Zeichnungsberechtigung der Unterzeichner zu prüfen). Die Ermäßigung der Verwaltungsgebühr für die Eintragung eines Rechtsübergangs über MyEPO wird es hoffentlich leichter machen, Anmelder/Patentinhaber davon zu überzeugen, dass es im Allgemeinen eine gute Idee ist, die EPA-Registerdaten mit der materiellen Inhaberschaft konsistent zu halten, wenn eine Übertragung stattgefunden hat.

BPatG: Der Einsprechende muss eindeutig identifizierbar sein

Der Beschluss 20 W (pat) 8/23 des Bundespatentgerichts (BPatG) vom 15. November 2023 zeigt, wie wichtig es ist, dass die Identität eines Verfahrensbeteiligten von Anfang an klar ist. Das BPatG bestätigte, dass ein Einspruch unzulässig ist, wenn sich die Identität des Einsprechenden nicht aus dem Einspruch innerhalb der Einspruchsfrist ergibt. In dem entschiedenen Fall hatte ein Patentanwalt den Einspruchsschriftsatz unterzeichnet und im Verfahren argumentiert, er sei selbst der Einsprechende. Dieser Argumentation schloss sich das BPatG nicht an.

Der amtliche Leitsatz lautet:
„Legt ein Patentanwalt oder eine Patentanwältin im eigenen Namen (auch als „Strohmann“) Einspruch gegen ein Patent ein, muss sich seine bzw. ihre Stellung als alleinige einsprechende Person aus den innerhalb der Einspruchsfrist gemachten Angaben ent weder unmittelbar oder im Wege der Auslegung zweifelsfrei ergeben. Dabei reicht die bloße Unterzeichnung der Einspruchsschrift durch den Anwalt bzw. die Anwältin, der/die üblicherweise im Namen Dritter tätig wird, nicht aus. [to clearly indicate that he/she acts not as representative but as party to the proceedings]“

Dies macht deutlich, wie wichtig es ist, in einen beim DPMA eingereichten Einspruchsschriftsatz die Identität des Einsprechenden ausdrücklich anzugeben. (Anders als das Formblatt 2300 des EPA stellt das DPMA kein amtliches Formblatt für Einsprüche bereit, das eine Gedächtnisstütze für dieZulässigkeitsanforderungen bietet.)