Anspruchsauslegung im DE-Nichtigkeitsverfahren

Eine aktuelle Entscheidung des Bundespatentgerichts, 2 Ni 30/21 (EP), die eines der Patente von Signify (LED-Technologie) betrifft, illustriert interessante Aspekte der Anspruchsauslegung im DE-Nichtigkeitsverfahren. Die Patentinhaberin wollte ein Anspruchsmerkmal („eingeklammert“) weit gefasst wissen (was in Nichtigkeitsverfahren unüblich ist). Das deutsche Bundespatentgericht hat das fragliche Merkmal sehr viel enger ausgelegt. Das Bundespatentgericht entschied, das Patent auf der Basis eines (signifikant eingeschränkten) unabhängigen Anspruchs eines Hilfsantrags beschränkt aufrechtzuerhalten.

Aufgrund der engen Auslegung des Merkmals „clipped in“ war das Bundespatentgericht der Ansicht, dass dieses Merkmal in einigen Dokumenten des Standes der Technik nicht offenbart sei (siehe z. B. Abschnitte II.7.5, 7.6, 7.7 und 7.8 der Entscheidungsgründe der genannten Entscheidung 2 Ni 30/21 (EP)).

Dieser Fall zeigt, dass das Bundespatentgericht den Ansprüchen eine viel engere Bedeutung beimessen kann als von der Patentinhaberin vorgeschlagen. Die LED-Technologie betreffenden Patente von Signify geben somit – wohl auch aufgrund der Lizenzierungsbemühungen von Signify – weiterhin Anlass zu interessanter Rechtsprechung (ein bekanntes Beispiel ist das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20. Dezember 2018 – X ZR 56/17 – Schaltungsanordnung III ).

Ausführbare Offenbarung für KI-Erfindungen

In der Entscheidung BPatG 19 W (pat) 32/20 bestätigte das Bundespatentgericht einen Zurückweisungsbeschluss wegen fehlender Ausführbarkeit der Erfindung. Nach den Entscheidungsgründen (insbesondere Abschnitt II.5.2(3)(iii)) erkennt der Senat, dass die Struktur des KI-Modells nicht hinreichend offenbart ist. Auch die Angaben zu den Trainingsdaten hält der Senat für nicht ausreichend, insbesondere im Hinblick auf die Verwendung der Trainingsdaten zum Trainieren einer ANN-Struktur dahingehend, dass sie die gewünschte Ausgangsgröße (im konkreten Fall eine den Verschleiß eines technischen Systems betreffende Ausgangsgröße) liefert.

Zum Hintergrund: Es ist selten, dass eine Anmeldung oder ein Patent vom Deutschen Patent- und Markenamt oder vom Bundespatentgericht als unzureichend offenbart angesehen wird. Dies gilt insbesondere für die technischen Gebiete, die üblicherweise als „vorhersagbare Technikfelder“ gelten (Physik, Mechanik usw.). Die Entscheidung spiegelt eine strenge Praxis in Bezug auf KI-basierte Erfindungen wider, die sich auch in Entscheidungen der EPA-Beschwerdekammern zeigt.

Amtsseitig scheint die Tendenz zu bestehen, KI-Anmeldungen zurückzuweisen oder KI-Patente zu widerrufen, die die Anwendung von KI in neuen Feldern betrifft, sofern die Verwendung der KI das tragende Unterscheidungsmerkmal ist. Die amtsseitige Argumentation lautet häufig, dass der Einsatz von KI ein allgemeiner Trend sei und der Fachmann den Einsatz von KI auf einem neuartigen Gebiet ohne erfinderische Tätigkeit in Betracht ziehen würde. Der Aufwand für das Training eines KI-Modells, um es für die neuartige Verwendung geeignet zu machen, scheint in dieser Argumentationslinie nur wenig Berücksichtigung zu finden. Die strengen Kriterien, die die Amtspraxis für die Offenbarung einer Anmeldung/eines Patents aufstellt, und das Argument der mangelnden erfinderischen Tätigkeit bei KI-Erfindungen in neuartigen Anwendungsbereichen scheinen nicht vollständig konsistent zu sein. Es bleibt zu hoffen, dass EPA, DPMA und BPatG in Zukunft zu einer ausgewogenen Sichtweise finden.