Juve Patent hat einen interessanten Artikel veröffentlicht („Is the UPC trending towards bifurcation, but with a twist?“), in dem erläutert wird, wie das EPG Verletzungsklagen und Widerklagen auf Nichtigerklärung handhabt
Zeitfragen beim EPG
Das EPG hat vor 100 Tagen seine Arbeit aufgenommen. Eine der interessanten Fragen in der Rechtsprechung betrifft die Frage, ob die Tageszeit zu berücksichtigen ist, um zu ermitteln, welches von mehreren Ereignissen zuerst eingetreten ist. In einem Webinar haben die Kollegen von Hoffmann Eitle Einblicke in eine solche Situation gegeben, in der eine Nichtigkeitsklage (bei der Zentralkammer) und eine Verletzungsklage (bei einer Lokalkammer) am selben Tag, aber mit einer zeitlichen Verzögerung von 19 Minuten eingereicht wurden. In dem Zwischenverfahren zur Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage hatte sich das Gericht mit der Frage zu befassen, ob die Tageszeit relevant sein kann, um zu ermitteln, welche Klage zuerst anhängig gemacht wurde (wobei das Gericht in seiner Entscheidung offenbar die Auffassung vertrat, dass im Interesse der Rechtssicherheit die Tageszeit relevant ist).
Diese Begründung ist interessant in Anbetracht der Tatsache, dass (i) in vielen anderen Rechtsordnungen nur das Datum von Bedeutung ist und einige Gerichte, wie z. B. das deutsche Bundespatentgericht, technisch nicht darauf eingerichtet sind, beispielsweise den Zeitpunkt des Eingangs einer in Papierform eingereichten Klage zu bestimmen; (ii) Verfahrensbeteiligten möglicherweise eine „First-to-Action“-Strategie verfolgen werden (insbesondere wenn sie glauben, dass eine Lokalkammer patentinhaberfreundlicher ist als die Zentralkammer, wie auch von Hoffmann Eitle im heutigen Webinar erörtert wurde);(iii) die „kleinste Zeiteinheit“ (nur Tageszeit oder Datum) für andere Szenarien als Verletzungs-/Widerrufsklagen relevant sein kann, z. B. für die Bestimmung der zeitlichen Reihenfolge von Opt-out und Nichtigkeitsklage (relevant für die Zulässigkeit der UPC-Nichtigkeitsklage).
Isolierte Nichtigkeitsklage am UPC
Beim Testen einiger Funktionen der CMS-Suchwerkzeuge, die vom UPC CMS bereitgestellt werden, habe ich soeben bemerkt, dass am 2. Juni 2023, also am zweiten Tag des Gerichts, eine isolierte Nichtigkeitsklage (d. h. eine Nichtigkeitsklage, die keine Nichtigkeitsgegenklage in einer Verletzungsklage ist) bei der Zentralkammer des UPC in München eingereicht wurde. Das Patent ist ein Bündelpatent (d. h. keine einheitliche Wirkung), da es vor dem 1. Juni 2023 erteilt wurde.
Der Streitwert beträgt 100 Mio. EUR. Ein Rechtsstreit zwischen denselben Parteien über ein US-Patentfamilienmitglied des nunmehr vor dem UPC angegriffenen Patents wurde kürzlich vom Obersten Gerichtshof der USA in der Rechtssache Amgen vs. Sanofi entschieden. Der US-Fall betraf die interessante Frage der ausführbaren Offenbarung über den gesamten Anspruchsbereich, d.h. die Frage, wie breit unabhängige Ansprüche im Vergleich zu den spezifischen Ausführungsbeispielen abgefasst werden dürfen.
Dies ist ein würdiger Anfang für das UPC-System, das offensichtlich interessante Fälle anzieht.
Bedauerlich ist, dass trotz der Bemühungen, ein modernes, vollelektronisches System einzurichten, die Nichtigkeitsklage gemäß R. 4.2 UPC (UPC CMS funktioniert nicht korrekt) offenbar in Papierform eingereicht wurde.