Um sich auf ein Vorbenutzungsrecht berufen zu können, muss der Inhaber des Vorbenutzungsrechts im Besitz einer Ausführungsform gewesen sein, die in den Schutzbereich der im geltend gemachten Patent oder Gebrauchsmuster beanspruchten Erfindung fällt. Nach der ständigen Rechtsprechung deutscher Gerichte gibt es starke Beschränkungen für Abwandlungen einer vorbenutzten Ausführungsform, damit diese noch vom Vorbenutzungsrecht profitieren können. Abwandlungen sind in der Regel unzulässig, wenn sie einen stärkeren Eingriff in die im Patent oder Gebrauchsmuster beanspruchte Erfindung darstellen als die ursprüngliche Ausführungsform, in deren Besitz der Vorbenutzer vor dem Zeitrang des Patents oder Gebrauchsmusters war.
Eine in Verletzungsverfahren häufig angewandte Faustregel ist, dass eine Änderung im Rahmen des Vorbenutzungsrechts im Allgemeinen nicht zulässig ist, wenn die geänderte Ausführungsform erstmalig in den Gegenstand eines abhängigen Anspruchs des Patents oder Gebrauchsmusters eingreift, der in der ursprünglichen (das Vorbenutzungsrecht begründenden) Ausführungsform nicht realisiert war. Beispielhaft hierfür sind die Erörterung der modifizierten Ausführungsform in OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.6.2021, 2 U 116/05 – Saugfähige Faserstoffbahn.
Der Bundesgerichtshof hat in seiner kürzlich ergangenen Entscheidung vom 20.6.2023, X ZR 61/21 – Faserstoffbahn entschieden, dass es Fälle gibt, in denen eine Abwandlung eines vorbenutzten Gegenstands, die erstmals Merkmale eines abhängigen Anspruchs verwirklicht, noch vom Vorbenutzungsrecht abgedeckt sein kann. Konkret hat der deutsche Bundesgerichtshof entschieden, dass dies der Fall sein kann, wenn (a) die Abwandlung nicht mit einer bestimmten technischen Wirkung verbunden ist, die im Patent oder Gebrauchsmuster hervorgehoben wird, oder (b) die Abwandlung vom Fachmann am Prioritäts- oder Anmeldetag des Patents oder Gebrauchsmusters als selbstverständliche Maßnahme in Betracht gezogen worden wäre.
Die BGH-Entscheidung „Fasetstoffbahn“ befasst sich auch mit interessanten verfahrensrechtlichen Aspekten im Zusammenhang mit den Besonderheiten des Gebrauchsmusterrechts.