Anspruchsauslegung am EPG

In der Entscheidung UPC_CFI_292/2023 der Lokalkammer (Local Division = LD) München vom 20.12.2023 wies die LD einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Maßnahme zurück. Nach dem ersten Leitsatz der Entscheidung können während des Erteilungsverfahrens vorgenommene Anspruchsänderungen zur Anspruchsauslegung herangezogen werden. In dem entschiedenen Fall vertrat die LD München die Auffassung, dass eine während des Verfahrens vorgenommene Anspruchsänderung ein ursprüngliches Anspruchsmerkmal genauer definiert und daher enger auszulegen ist als von der Antragstellerin vorgetragen.

In einem auf LinkedIn veröffentlichten Artikel merkte ein deutscher Patentanwaltskollege an, dass er im ersten Leitsatz dieser Entscheidung einen Paradigmenwechsel im Vergleich zur bisherigen nationalen deutschen Praxis der Anspruchsauslegung sieht. Diese Auffassung teile ich nicht. Während sich deutsche Gerichte traditionell nicht auf File History Estoppel gestützt haben, haben mehrere aktuellere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) – wie BGH, Urteil vom 14.06.2016 – X ZR 29/15 – Pemetrexed und BGH Urteil vom 10.05.2011 – X ZR 16/09 – Okklusionsvorrichtung – bereits erläutert, dass während des Erteilungsverfahrens vorgenommene Anspruchsänderungen ein nützliches Instrument für die Auslegung sein können. Die Entscheidung der LD München scheint im Einklang mit dieser nationalen deutschen Rechtsprechung zu stehen (die für sich genommen allerdings eine Praxisänderung in Richtung der nationalen Praxis anderer EPÜ-Vertragsstaaten darstellt, die die Grundsätze des File History Estoppels anwenden).

Claim construction at the UPC

In decision UPC_CFI_292/2023, the Local Division (LD) Munich of 20/12/2023, the UPC rejected a request for a preliminary injunction. According to the first headnote of the decision, claim amendments made during prosecution can aid the claim construction . In the decided case, the LD Munich was of the opinion that a claim amendment introduced during prosecution defined an original claim feature in greater specificity and, thus, had to be construed more narrowly than suggested by claimant.

In an article published on LinkedIn, a fellow German patent attorney remarked that he considers the first headnote of this decision to represent a significant change as compared to the national German claim construction practice. I don’t think that the decision of the LD Munich is a significant departure from German national practice. While German courts have traditionally not relied on file history estoppel, several decisions handed down by the German Federal Supreme Court (BGH) in recent years – such as BGH decision of 14/06/2016 – X ZR 29/15 – Pemetrexed and BGH decision of 10/05/2011 – X ZR 16/09 – Okklusionsvorrichtung (“occlusion device”) – held that claim amendments made during prosecution can be a useful tool for claim construction. The decision by the LD Munich appears to be in line with this German national case law (which in itself represents a shift towards the national practice of other EPC contracting states that apply the principles of file history estoppel).

Abschied von der 10-Tage-Regel

Die 10-Tage-Regel des EPA wird zum 1. November 2023 abgeschafft. Für signifikant verspäteten Dokumenteneingang (mehr als 7 Tage) wird ein Schutzmechanismus greifen, wobei die Beweislast bei bestrittenen Zustellungen beim EPA liegt. Die neue Vorschrift gilt für Dokumente, die am oder nach dem 1. November 2023 zugestellt werden. Siehe ABl. EPA 2023, A29 für weitere Einzelheiten und einige Beispiele.